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„Hoffentlich muss ich so etwas nie wieder erleben“ Gerrit Gerritsen

Herr Gerritsen, Sie sind Verkaufsleiter bei Praunsmändtl – privat Vater von zwei Schulkindern. Täglich liest man, dass die „Normalität“ langsam zurückkehrt. Ist das so? Fühlt es sich für Sie wieder normal an?

Privat kehrt tatsächlich ein Stück Normalität zurück, dennoch ist die Situation angespannt. Als Vater von zwei Töchtern, die im Moment versetzt zur Schule gehen, stecke auch ich im derzeitigen Hamsterrad: Büro, Homeschooling, Nachhilfelehrer, Motivator, Streitschlichter😉. Gleiches gilt natürlich vor allem auch für meine Frau, auf deren Schultern noch immer die Hauptlast liegt….
Im Unternehmen sind wir von der Normalität jedoch noch weit entfernt. Zwei schwere unternehmerische und wirtschaftliche Monate liegen hinter uns. Die Situation hat uns regelrecht überrollt. Nur langsam entspannt sich die Lage. Mitarbeiter und Kunden begegnen sich umsichtig und im respektvollen Umgang zueinander. Allerdings nehmen wir einen deutlichen Einbruch bei der „Laufkundschaft“ wahr. Termine werden wieder vereinbart, aber auch immer noch mit großer Zurückhaltung. Wir hoffen alle sehr, dass sich die Lage bald verbessert.

Doppelt- und Dreifachbelastung trifft nicht nur Mütter, sondern auch viele Väter wie Sie. Hand aufs Herz – Was bringt Sie derzeit am meisten auf die Palme? Wären Sie in der politischen Verantwortung, was würden Sie ab morgen sofort ändern?

Ich denke, dass wir alle zusammen auf unterschiedlichste Weise gefordert waren und noch immer sind. Vor allem Ehefrauen und Mütter mussten und müssen teilweise noch immer ihre persönlichen Bedürfnisse und Wünsche hintenanstellen um möglichst alle Bälle in der Luft zu halten. Sicherlich war es für die ein oder andere Mitarbeiterin eine große Entlastung in den letzten Monaten, dass die Kinder, wenn alle Stricke rissen mit ins Büro konnten. Unabhängig davon werden aber die Anstrengungen der Frauen rückblickend gesellschaftlich zu wenig gewürdigt.
Bemerkenswert an dieser Krise ist jedoch, dass es keinen Schuldigen gibt. Eine völlig neue Situation, in der anfänglich in meinen Augen viele richtige Entscheidungen getroffen wurden. Bauchschmerzen habe ich in diesem Zusammenhang mit dem System des Föderalismus. Mit dem Beginn der unterschiedlichen Lockerungen in den jeweiligen Bundesländern wurde ein Informationschaos losgetreten und es entstanden berechtige Diskussionen: „Warum dürfen die und wir nicht?“, „Macht das überhaupt Sinn“, usw.. Unzufriedenheit, Unverständnis und allgemeiner Unmut trat ein und die anfängliche Demut und die gegenseitige Rücksichtnahme nahmen plötzlich ab. Das stört mich bis heute.
Froh bin ich hingegen, dass ich Verkaufsleiter bei Praunsmändtl sein darf und keine derartigen weitreichenden und gesellschaftlich relevanten Entscheidungen treffen muss😉

Die Verkaufsräume mussten zwischenzeitlich schließen. Das Verkäuferherz musste bluten. Was war Ihre größte Befürchtung? Wie haben Ihre Kollegen & Kunden reagiert? Hatten Sie einen Plan B in der Tasche, um einigermaßen die Schließung zu überbrücken?

Meine Kollegen, die Geschäftsleitung und ich waren fassungslos. Wir schlossen die Verkaufsräume ohne einen Plan B in der Schublade zu haben. Am meisten schmerzte mich die fehlende Perspektive. Das Gefühl der Leere, das kann man gar nicht in Worte fassen. Wir sind sehr dankbar über die Möglichkeit der Kurzarbeit und die große Unterstützung der Arbeitsagentur. Doch hinter jeder Krise liegt auch eine Chance. Im Steigflug wurden digitale Prozesse, die immer etwas stiefmütterlich behandelt in der Schublade lagen, aktiviert und verbessert. Videochat, Fokus auf Onlinevertrieb usw. Wir wurden wachgerüttelt und nehmen das als positive Entwicklung mit in die Zukunft!
Ein weitere Stimmungsaufheller war und ist noch immer unser Bürohund Poldi. Sonst immer nur an Donnerstagen bei uns, hat er sich in der Corona-Zeit deutlich häufiger blicken lassen – verbunden mit ein 1-2kg Mehrgewicht aufgrund der vielen Leckerlis der Kollegen 😉

Gibt es besondere Erlebnisse während des Lockdowns, das Ihnen immer in Erinnerung bleiben wird?

In meinen ganzen Leben habe ich noch nie eine derartige abrupte Entschleunigung bzw. wirkliche Ruhe erlebt. Das habe ich zusammen mit meiner Familie genossen. Zugegeben hat mir diese Erholungsphase auch die Kraft für die bevorstehenden unternehmerische Entscheidungen gegeben. Es war im wahrsten Sinne „die Ruhe im Auge des Orkans“.

Praunsmändtl hat sich seit über 130 Jahren als erfolgreiches traditionelles Familienunternehmen durch alle politischen und wirtschaftlichen „Aufs und Abs“ geschlagen. Gibt es ein „Rezept“ für die herausfordernden Zeiten, an denen weiterhin festgehalten wird?

Praunsmändtl hat in der Nachkriegszeit keine derartige Situation erlebt. Es ist wirklich unglaublich und außergewöhnlich. Unser Rezept ist eindeutig unsere Mannschaft. Alleine unsere Geschäftsleitung setzt sich als Team zusammen, das schon seit Jahrzehnten eng, sehr vertraut, aber auch sehr agil miteinander arbeitet. Das ist ein großer Vorteil bei all den schwierigen Entscheidungen, die im Moment getroffen werden müssen. Wir pflegten in Vergangenheit immer einen offenen Umgang mit den Mitarbeitern. Die Türen stehen für persönliche Anliegen immer offen – auch die des Geschäftsführers. So versuchen wir auch weiterhin durch gute interne Kommunikation, alle auf unserem Weg mitzunehmen und Entscheidungen nachvollziehbar zu machen.

Wenn Sie sich in 10 Jahren an die „Corona-Zeit“ zurückerinnern, was wird Ihnen durch den Kopf gehen?

Lustigerweise ging mir in den vergangenen Wochen immer wieder der gebetsmühlenartige Spruch eines Professors während meiner Studienzeit durch den Kopf: „Jammern füllt keine Kammern“. Ich werde mich auf alle Fälle zurückerinnern, dass diejenigen die Krise besser überstanden haben, die nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern flexibel denken, pfiffige Ideen entwickeln und positiv nach Vorne sehen. Für mich ist das Glas immer halb voll und das will ich mir immer beibehalten.
Zuletzt werde ich mir immer wünschen: „Hoffentlich muss ich so etwas nie wieder erleben“.